FAZ, 25. Mai 2001, Seite 3:

     

WIE QUEEN UNTER FUSSBALLFANS GERIET
Von Andreas Obst


Frankfurt, 24. Mai. Das Titelbild des sechsten Albums der englischen Rockband "Queen", entworfen von dem Maler Frank Kelly Frears, zeigt einen riesigen Maschinenmenschen als Menetekel der Zivilisation. Während seine rechte Kniescheibe eine Mauer zertrümmert und sich von der Spitze des linken Mittelfingers ein Blutstropfen löst, hält er seine Oper (sic!) in der offenen rechten Pranke: Es sind die vier Musiker von "Queen". Zwei liegen noch hingegossen zwischen den metallenen Fingergliedern, die weiße Hemdbrust rot verfärbt, die anderen beiden befinden sich schon im freien Fall in die Tiefe. "News of the World" steht über dem Gemälde, denn so lautet der Titel des Albums, das 1977 erschien, auf der Höhe des Welterfolgs der Band.


Schon zu Beginn ihrer Karriere Anfang der siebziger Jahre war es die wohl größte Kunst von "Queen", ihr Publikum im Unklaren oder doch immerhin im Ungewissen darüber zu lassen, wie ernst es die Musiker selbst mit der Musik meinten. Womöglich wussten sie es selbst nicht. Jedenfalls verstandes es die vier von "Queen" wie kein anderer der vielen Glam-Stars jener Jahre, als der Rock zum ersten Mal auch recht gut von seiner Parodie lebte, das Spiel mit der Ironie und dem Schein des Seins. Ihr Witz war von der Art, daß sie auch schon einmal eine Platte, das Meisterwerk "A Night At The Opera" von 1975, mit der englischen Nationalhymne, gesetzt für Rockinstrumentarium, ausklingen ließen: "God Save the Queen". Spaß macht diese kurios grandiose Musik, in kleinen Dosen genossen, bis heute, weit über das Ende der Gruppe hinaus, die nach dem Tod des schillernden Sängers Freddie Mercury vor zehn Jahren zerbrach und nur noch ein paar posthume Ehrenerfolge feiern konnte.


Vielleicht liegt sogar eine ganz eigene Logik darin, daß "Queen" irgendwann unter die Fußballfans geriet: einen Schlag Menschen, dem man nicht unbedingt hochentwickeltes (Selbst-)Ironiebewußtsein nachsagt. Es geschah mit dem zweiten Song von "News of the World", der Mercury-Komposition "We Are The Champions". Auch dieser Song tönt wie herausgebrochen aus dem Queen-Kosmos: pathetisch bis weit in die Parodie hinein, schier hysterisch selbstgefällig und dabei durchaus augenzwinkernd - wobei unklar bleibt bis zum Schluß, ob die Tränen, die man beim Hören zu sehen meint, dem Stolz oder doch eher dem Trotz geschuldet sind.


Im Text geht es, fragmentarisch, wie ein Rocksong eben argumentiert, um einen, der gelitten hat und nicht mehr leiden mag. "We are the champions - my friends/ And we’ll keep on fighting/ till the end", lauten die Schlüsselzeilen. Ihre Apologetik macht das Lied unbedingt fußballtauglich. Kämpfen ist gut, weil wichtig. Denn nur der Kampf führt zum Sieg. So ist es längst common sense im Fußball, wer würde da ernstlich nach dem Warum fragen? Und überhaupt: Welcher echte Fan hätte nicht schon gelitten, und von einem Spiel auf das nächste jäh triumphiert? Über den Kampf zum Spiel finden: Diese längst zur Weisheit erhobene Platitüde der Fußball-Lehrer findet ihre musikalische Entsprechung und gleichzeitig Überhöhung in dem "Queen"-Song, seine plakativen Zeilen sind heute fast eine Art Credo des Fußballfans an sich.


Längst ist nicht mehr festzustellen, wie das Lied in die Stadien kam. Irgend jemand wird es über die Lautsprecher ausgestrahlt haben, ein Block nahm Melodie und Worte auf und sang sie weiter, und so nahm die Legende ihren Lauf. Unterdessen ist der Song aus dem Fußball nicht mehr wegzuhören, sogar in seiner Verkürzung auf den aus Tausenden Männerkehlen gegröhlten Refrain tönt er allemal besser als das ewige "O-he-ohe-ohe-ohe", mit dem die Anhänger der gegnerischen Mannschaften einander früher auf die Nerven fielen. Heute ist "We Are the Champions" für alle da - und ein Gesang für alle Spielgelegenheiten. Sieger läßt er im Chor jubeln, Verlierern schenkt er Trost. Bis zum nächsten Spiel.

     

Dank an Alina Neitzert für die Abschrift des Artikels.